Rocket Beans TV

Community als Organisations- und Geschäftsprinzip

Das ein Projekt wie Rocket Beans TV überhaupt existieren kann, erscheint auf dem ersten Blick unmöglich, denn Rocket Beans TV verbreitet NERD-TV zu Videospielen, Film und Fernsehen, Brett- und Rollenspiele, gemischt mit Show-, Quizz- und Talkformaten.  Wie bei einem klassischen Fernsehsender werden die Sendungen als 24/7 Livestream über die eigene Webseite, YouTube und Twitch ausgestrahlt. Eine Mediathek, über die sämtliche Inhalte abrufbar sind, vervollständigt das Angebot.

Trotz seines Nischendaseins existiert dieser Sender aber bereits seit mehr als fünf Jahren und ist, gemessen an den derzeit 540 000 YouTube-Abonnenten und den 1,8 Millionen Aufrufen des erfolgreichsten Videos, noch nicht einmal außerordentlich erfolgreich. Dennoch gelang Rocket Beans TV nicht nur das überleben, sondern ist inzwischen zu einem mittelständischen Unternehmen mit über 100 Mitarbeiteten angewachsen. Ermöglicht wurde dies durch einen recht spezifischen Organisationsprozess, den ich als personality centered community building bezeichne.

Die Entstehung von Rocket Beans

Daniel (Budi) Budiman, Nils Bomhoff, Simon Krätschmer, Arno Heinisch und Etienne Gardé (von links nach rechts).

Der Ursprung von Rocket Beans TV (RBTV) reicht zurück zu den Anfängen deutscher Fernsehsender über Gaming Content. Die fünf Gründer von Rockt Beans, Daniel (Budi) Budiman, Etienne Gardé, Arno Heinisch, Nils Bomhoff und Simon Krätschmer kannten sich bereits aus Ihrer Modertoren-, bzw. im Fall Arno Heinisch Produzententätigkeit von Videospielsendungen auf GIGA und später auf MTV/Viva (Game One). Während dieser Zeit bauten die vier Modertoren eine recht grosse Community auf. Als Ende 2014 Game One eingestellt wurde, riefen die Vier Ihre Community auf um sie durch Crowdfunding bei der Weiterbetreibung ihres bereits 2012 ins Leben gerufenen YouTube-Kanals Rocket Beans zu unterstützen. Die Kampagne war so erfolgreich, dass Anfang 2015 Rocket Beans TV als 24/7 Internetsender an den Start gehen konnte.

Auch wenn der Sender sich inzwischen zu 66% durch Partnerschaften (Produktplatzierung, Branded Content, Auftragsproduktionen und Events) finanziert, sind die Einnahmen aus der Community immer noch für den Sender sehr wichtig. Mit 20 % Einnahmen aus den eigenen Merchandise Online Shop und Spenden stellen diese Einnahmen den zweiten größten Posten. Dabei ist die Community nicht nur in monetärer Hinsicht für den Sender elementar.

Wie gelingt es RBTV die Community an sich zu binden?

Zentral für die starke Bindung der Community an RBTV ist die Beliebtheit der vier Stammmoderatoren Daniel (Budi) Budiman, Etienne Gardé, Nils Bomhoff und Simon Krätschmer. Deren Beliebtheit lässt sich zum Beispiel an ihrer recht beachtlichen Zahl von Followern auf Twittern ablesen, die zwischen 120 000 und 250 000 und damit zum Teil über der Zahl der Follower des Kanals selbst liegt (Twitter Ranking Deutschland Anfang Mai 2020). Ein weiteres Indiz hierfür ist der Titel einer Umfrage im Rocket Beans Forum¸ „Meine Lieblingsbohnen außer den B.E.(A).N.S“.

Das Erfolgsgeheimnis der vier Moderatoren lässt sich dabei als professionellen Dilettantismus beschreiben. Weder ihre Moderationen noch ihre Gaming Skills sind perfekt und bei beiden lassen sie ihren Emotionen recht freien Lauf. So hat zum Beispiel Simon Krätschmer in einer Sendung des Let‘s Play Formats „Knallhart Durchgenommen“ eine Plastikflasche gegen einen Fernseher geworfen und ihn damit beschädigt.

Aber auch wenn dieser professionelle Dilettantismus zum Geschäftsprinzip, dem personality centered community building, gehört, entsteht dadurch eine Bindung zum Zuschauer, die Lisa Ludwig in einem Vice Artikel treffend zusammengefasst hat. „Den Bohnen wird zugeguckt, weil sie genauso gut oder schlecht sind wie der Durchschnittszuschauer – und man sich vor dem Bildschirm fühlen kann, als würde man bei Freunden auf der Couch sitzen“ (Vice 2018). Auf diese Weise wird in der Fanbase ein Gefühl erzeugt, dass man keinen Fernsehsender, sondern Freunde bei einem geilen Projekt unterstützt. Dieses Gefühl nutzt und fördert der Sender durch eine intensive Community Arbeit.

Die Community Arbeit von Rockte Beans TV     

Wie wohl jedes größere Unternehmen ist RBTV auf Facebook, Twitter und Instagram vertreten. Diese spielen aber laut der Community Umfrage von 2018 eine eher untergeordnete Rolle. Deutlich wichtiger sind das hauseigene Forum, Der YouTube Chat und Reddit.

Neben dem Austausch zwischen den Community Mitgliedern im Forum und auf Reddit nutzt der Sender das Forum um News über das eigenen Programm, Sendungen oder neue Produkte im Shop oder Gewinnspiele zu verbreiten. Forum und Reddit sind somit eine ideale Plattform, um Werbung in eigener Sache an einen prinzipiell interessierten LeserInnenkreis zu verbreiten. Darüber hinaus werden auch noch einige Community-Projekte unterstützt.

Betreut werden die 30500 Forenmitglieder (08/05/20) derzeit von fünf angestellten AdministratorInnen, acht freiwilligen ModeratorInnen und einer beim Sender angestellten Moderatorin.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die direkte Einbeziehung der Community die Programmgestaltung. Regelmäßig werden von den Forumsmodertoren Aufrufe an die Community gepostet Vorschläge zu unterbreiten, wie hier für einen Best-of-Zusammenschnitt.

Wichtigstes Element und laut der Umfrage das am meisten genutztes Element ist aber der Youtube Chat. Wie eingangs erwähnt, orientiert sich RBTV an einem klassischen TV-Sendeschema, zu dem neben Aufzeichnungen und Wiederholungen zu einem grossen Teil auch Live-Sendungen gehören. Im Jahre 2018 wurden im Schnitt 7,9 Stunden live über den YouTube Chanel gesendet. Häufig nutzen die Sendungsmoderatoren diesen Chat um live mit den ZuschauerInnen zu interagieren, wie in diesem „Was wäre wenn“ des Rollenspielformats „Pen and Paper“. Hier geht die Rocket Beans Community über eine normale Fan-Community hinaus und wird aktiv in die Programmgestaltung miteinbezogen. Eine solche Form des Community-Managements sorgt nicht nur für eine starke Bindung, so verstehen sich 69% der Befragten der Community-Umfrage als Teil der Community, sondern ist ein Teil des Arbeitsprozesses bei RBTV.

Arbeiten als Community

Das Rage of Empires Team im eigenen Studio

Nicht nur in der Finanzierung oder in der Einbeziehung der Community in den Produktionsprozess ist RBTV zu einem großen Teil ein Community Projekt. Der Community Gedanke ist ein wichtiger Teil des Selbstverständnisses und der Organisationsstruktur. So heißt es im Mission Statement unter dem Punkt Werte:

„Gemeinschaftlich: Wir machen Dinge gemeinsam, achten aufeinander und sind ein kollegiales Team. Die Gemeinschaft inkludiert unsere Community, das Kooperative, das Zusammenentwickeln und -arbeiten.“

Im Produktionsalltag wird dieses Selbstverständnis dadurch deutlich, dass Mitarbeiter aus anderen Bereichen als der Moderation in die Sendungen eingebunden werden. Sie dienen u. a. als Gäste in Show Formaten, aber auch als Gäste in Talkformaten, wie der Motion Graphics Designer Alwin Reifschneider in der Filmsendung Kino+.

Dieses Arbeitsprinzip ist dabei nicht unproblematisch. Zwar sorgt eine solche Arbeitsweise für eine ähnliche Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen wie bei der Community, aber eben auch zu wenig arbeitnehmerfreundlichen Arbeitsbedingungen. So berichtet Lisa Ludwig von niedrigen Löhnen, Schichten bis spät in die Nacht, Überstunden und Arbeit am Wochenenden, obwohl am Wochenende keine Live-Sendungen ausgestrahlt werden. Dieses Bild zeigen auch die Arbeitnehmerbewertungen auf der Plattform für Kununu. Während die Arbeitsatmosphäre und der Interessantheitswert der Aufgaben recht gut beurteilt werden, schneidet RBTV in den Punkten Gehalt/Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen eher schlecht ab. Eine hohe Identifikation mit einem Unternehmen kann eben auch zu Selbst- und Fremdausbeutung einladen.

Nichtsdestotrotz ist Rocket Beans TV eines der interessantesten Unternehmen in der deutschen Medienlandschaft, dass vieles anders macht. Ein Unternehmen in dem die Grenzen zwischen Content-Produzent und Konsument, aber eben auch zwischen Arbeit und Freizeit verwischen.

Philipp Adamik 2020

Titelbild: Axxer 2015: Senderlogo seit 2015. (CC BY-SA 3.0).

Beitragsbild 1: Webvideopreis Deutschland 2015: Die Gewinner in der Kategorie „PERSON OF THE YEAR – MALE“- Rocket Beans TV. (CC BY 2.0).

Beitragsbild 2: Mojo-Flojo 2018: Das Rage of Empires Team im eigenen Studio. (CC BY-SA 3.0).